Lachen zwischen den Reben – zur Weinlese in der Pfalz
Soweit ich schauen kann sehe ich grüne Blätter und Trauben. Manchmal auch die Spitzen von Gummistiefeln, die unter den dichten Reben hervorschauen. Es riecht nach feuchter Erde; Stimmen sind zu hören, immer wieder Lachen und das Klappern der Scheren. Eimer werden mitgezogen, wenn die Schuhspitzen einen Meter weiterrücken. Dann wieder das Scherengeräusch und das weiche Auftreffen der Trauben im Eimer. Ich schaue meine Reihe entlang und habe nicht den Eindruck, dass ich wirklich weitergekommen bin. Aber der Eimer ist jetzt voll und ich stehe auf. Es ist schön, den Rücken geradezubiegen und mehr zu sehen, als grüne Blätter und Gummistiefelspitzen.
Eine milde herbstliche Sonne liegt über den Hügeln der Rheinpfalz und im Dunst kann man gerade noch in die Rheinebene hineinsehen. Die Weinberge um Laumersheim herum liegen wie mit dem Kamm gezogen und zwischen dem Grün der Zeilen sieht man immer wieder bunte Tupfen von Kopftüchern und Mützen. Auf den Feldwegen stehen Traktoren, Anhänger und Maschinen. Manchmal kriecht auch eine saurierartige Maschine durch die Zeilen und erntet automatisch die Trauben. Dabei wird allerdings viel weniger gelacht.
Und immer wieder knallt es laut. Die ganze Gegend klingt wie an Silvester. Es sind automatische Schreckschussanlagen, die den Vögeln das Mittagessen verderben sollen. Die Geräuschkulisse ist schon etwas abschreckend und letztes Jahr wollten meine kambodschanischen Freunde die Wingerte nicht betreten, weil sie einen heftigen Schusswechsel vermuteten. Aber wir haben uns längst daran gewöhnt.
So, ich habe jetzt genug Pause gemacht. Es ist peinlich, wenn die anderen schneller sind. Vor allem diese vier alten Frauen, alle so um die Achzig herum, die sich zackig und unaufhaltsam durch die Zeilen arbeiten. Man kann sie nur alle zusammen anheuern, aber dann bestimmen sie das Tempo und vor allem Gelegenheitsarbeiter wie ich haben viel zu tun, um Schritt zu halten.
Es tauchen jetzt mehr Köpfe zwischen den Reben auf und man verlangt lautstark nach dem Loglträger. Die Logl ist der grosse Behälter, der auf dem Rücken getragen wird und in den wir jetzt unsere Eimer entleeren. Wenn der Träger nicht schnell genug zur Stelle ist, muss er schon einmal derben Spott ertragen. Nach dem Ausleeren verschwinden alle Köpfe wieder im grünen Halbdunkel.
Die Logl wankt in Richtung des Fuhrwerks, wo ihr Träger dann eine Leiter hinauf steigen muss.
Oben angekommen beugt er sich so weit nach vorne, bis die Trauben in den großen Bottich unter ihm rutschen. Die Last ist aber sehr schwer und mancher hat dabei auch schon kopfüber einen unfreiwilligen Abgang gemacht. Die Lage ist in diesem Fall ziemlich unangenehm, denn man steckt mit dem Kopf zwischen den Trauben; die Logl auf dem Rücken raubt die Bewegungsfreiheit und heftige Armbewegungen produzieren vor allem Most, den man in diesem Moment nicht wirklich will.
Endlich naht das Ende der Zeile und jetzt wird auch das Mittagessen gebracht. Alle waschen sich die dicke Zucker- und Schmutzschicht von den Händen und greifen kräftig zu. Mathias Roob, der Winzer vom Weingut Herbst, fordert uns auf, Wein zu trinken, denn Wasser müsse er kaufen. Manche tun es auch, aber die Mischung aus einem guten Essen, Sonne und Wein macht sehr müde und es warten noch viele Trauben. Außerdem macht ein Teil von uns dann später im Kelterhaus weiter und das dauert manchmal bis Mitternacht. Dann wird die Nacht ziemlich kurz, obwohl wir nicht vor 11 Uhr vormittags mit der Lese beginnen.
Die Trauben sollen schon trocken sein; zuviel Tau verdünnt den Wein. Aus diesem Grund lesen wir auch nicht bei Regen, was ich als sehr angenehm empfinde.
Nach der Lese werden die Trauben gemahlen; d.h. zwischen Walzen angequetscht. Dabei entsteht ein Brei und jetzt unterscheiden sich die weiteren Schritte nach Art der Trauben. Für Rotwein bleibt diese Masse einige Tage in grossen Bottichen stehen, damit die Farbe aus den Schalen in den Saft übertritt. Erst dann wird die Maische gekeltert. Weissweinmaische und solche für Weissherbst – sie ist aus Rotweintrauben gemacht - wird direkt in die alte Kelter gepumpt.
Das Weingut Herbst in Laumersheim setzt auf Tradition und betreibt auch noch einige sehr alte Maschinen. Ganz langsam und behutsam werden die Trauben ausgepresst und ein dicker Strahl Traubensaft ergiesst sich in eine Wanne. Jetzt müssen die Mostpumpe und die langen Schläuche bereit sein, den Saft in die Fässer zu pumpen. Währenddessen probieren wir die ersten Schlucke Most und schauen in den Strudel, wo sich das Ergebnis von vielen Monaten Arbeit zeigt. Es ist ein schöner Anblick. Mathias Roob bringt einen Krug neuen Wein, der vor einigen Tagen gekeltert wurde. Er ist noch süss aber er prickelt schon deutlich. Bald wird er sehr herb sein und dann lässt man ihn für einige Monate im Fass ruhen.
Aus einigen Fässern sind brummige Gärgeräusche zu hören und mit Kreide wurde die Traubensorte und der Lesetag aussen vermerkt. Das Weingut Herbst bietet eine große Auswahl von Sorten an und da braucht man natürlich auch entsprechend viele Fässer.
Allmählich tröpfelt der Strahl aus der Kelter nur noch und wir beladen den nächsten Korb. Während dieser gepresst wird, räumen wir den Trester aus dem ersten, reinigen den Korb und machen ihn für den nächsten Durchgang fertig. Der Keller riecht mittlerweile nach Trauben und Hefe. Es ist der Geruch, der jetzt wie eine Glocke über allen Weinorten liegt. Er gehört zur Saison, wie die Leseeimer und die verklebten Gummistiefel. Und wie das Lachen zwischen den Reben. Morgen wieder, nach dem Tau....
Michael Huber